Foto oben: Delfine, unsere häufigsten Begleiter
Die Reise beginnt an Weihnachten 1980 mit der Zugfahrt von München nach Paris. Von dort ging es weiter nach Spanien und Marokko, bis ich schließlich in Senegal ankam.
Mein Ziel war es, bis zum Sommer die Pazifikküste von Peru zu erreichen. Zuhause wählte ich als Zwischenziel Senegal in Westafrika, um von dort nach Brasilien zu kommen, da es auf der Landkarte die kürzeste Entfernung zwischen diesen Kontinenten ist. Allerdings musste ich im Hafen von Senegals Hauptstadt Dakar erfahren, dass die beiden Länder so gut wie keine Handelsbeziehungen miteinander haben, und keine Frachtschiffe zwischen diesen beiden Ländern verkehren. Völlig ernüchtert verlies ich den Hafen und schlenderte betrübt durch die Hauptstadt. Dort lernte ich Mamadou kennen. Von Mamadou, ein Souvenirhändler auf den Straßen Dakars, erfuhr ich von einem Hafen mit Segelbooten, weiter südlich vom Frachthafen.
Mir war eigentlich jedes Mittel recht, um an mein Ziel zu kommen. Also befragte ich im Yachthafen einige Leute, ohne zu wissen, was auf mich zukommen könnte. Schließlich habe ich noch nie ein Segelboot betreten. Es waren alles Franzosen, die hier an der Bar anzutreffen waren, und ihren Pastis tranken. Sowohl Ehepaare, als auch kleine Gruppen von Männern, darunter ein Alleinsegler. Hier erfuhr ich, dass die Segler aus Frankreich im Frühjahr hier her kommen, um dann nach Südamerika weiter zu segeln, und über die Karibik zurück nach Frankreich, so dass sie vor Wintereinbruch wieder zuhause sind. Manche würden das ihr ganzes Leben so machen. Engländer machen das auch. Die steuern aber Gambia an, eine ehemalige englische Kolonie.
Hier im Yachthafen von Dakar lernte ich Michel aus Frankreich kennen. Wir konnten uns nur auf Englisch, so gut wie es ging, unterhalten.
Nach einigen Treffen willigte er ein, und meinte, dass er mich mitnehmen würde. Ich war total happy! Wenn es mit einem Segelschiff auch nicht geklappt hätte, so wäre für mich die Alternative gewesen, an der Westküste Afrikas weiter zu fahren.
Die letzten Einkäufe tätigten wir in Ziguinchor. Für die Überfahrt verlangte Michel von mir 65 US$, mit denen er noch Nudeln und Reis kaufte. An der Überfahrt mit mir als Passagier wollte er nichts verdienen.
Michel erzählte mir, dass er an der Côte d’Azur schon einige Jahre als Skipper arbeitete und Segeltörns für Touristen an der Mittelmeerküste durchgeführt hat. Jetzt ist er aus Frankreich vor dem Militärdienst geflohen. Zurück in sein Land könne er nicht mehr, sonst würde er im Gefängnis landen. So hatte er eines Tages beschlossen, sein Leben auf einem Segelboot zu verbringen. Als er nach Senegal kam, fand er dieses Segelboot kaputt am Strand liegen. Es dauerte Monate, bis er es repariert hatte. Segel, Seile, Kompass und Sextant ließ er sich von Einheimischen besorgen. Soll heißen, dass sie die Sachen von anderen Segelschiffen geklaut haben.
Carabane ist eine Insel mit ca. 5 km Durchmesser im Fluss Casamance, im Süden von Senegal. Die Ufer sind mit Mangroven gesäumt. Der Höhenunterschied zwischen Ebbe und Flut beträgt über 2 m. Die Strömung des Flusses ist am Ufer jedoch kaum bemerkbar. Bei Flut strömt jedoch sehr viel Wasser vom Meer hinein, und flutet die Mangroven.
Vorbereitungen:
Michel zog das Segelschiff von Land aus mit einem Seil am Ufer entlang, und band es an einem Baum bei Flut fest. Bei Ebbe, hier gibt es einen Tidenhub von über 2 m, kippte das Boot auf die Backbord Seite, also zum Ufer hin. So konnten eventuelle Schäden am Rumpf noch ausgebessert werden. Beim nächsten Hochwasser wendete Michel das Boot, und befestigte es wieder an dem Baum. Jetzt konnte die andere Seite begutachtet werden. Es waren keine Ausbesserungsarbeiten notwendig.
Auch hier im Fluss Casamance konnten wir immer wieder Delfine auftauchen sehen. Pelikane und Reiher sind ebenfalls hier beheimatet.
Zur Flussseite hin gibt es ein Restaurant.
Um 10:00 Uhr machten wir am 9. März 1981 von Carabane los!
Während der Ausfahrt durch die Flussmündung ins Meer zeigte Michel schon seine Kunst, ein Segelboot zu manövrieren! Im Zickzack Kurs zwischen Sandbänke hindurch, immer wieder die Segel ausrichtend, dann wieder am Ruder... Die Untiefen sind nur durch ein paar Holzstecken, die unscheinbar aus dem Wasser ragen, gekennzeichnet. Wegen den Sandbänken, die der Strömung im Weg sind, war das Meer sehr unruhig.
Michel war immer in Bewegung, mal an den Seilen, mal an der Pinne. Ich sollte mich möglichst nicht in den Weg stellen. Ich sah ihm die Anspannung an. Mit dem wenigen Wind vollzog er für mich als Laien eine Meisterleistung. Endlich ließen die Stromschnellen nach, und wir erreichten das offene Meer.
Es liegen 1800 Seemeilen vor uns. Unser Segelboot hatte eine Gesamtlänge von 6 m. Ausgestattet mit einem Ruder, das mit Pinne zu bedienen ist. Eine Yacht hat im Vergleich ein Steuerrad. Zur Navigation hatte Michel einen Sextanten und das dicke Buch mit den vielen Zahlen dazu. Heute kann kaum noch jemand damit umgehen. Alle Segelyachten sind inzwischen mit einem GPS-Plotter ausgestattet, der nicht nur die aktuelle Position angibt, sondern auch die Meerestiefe. Ein Funkgerät war ebenfalls nicht an Bord. Es war mehr eine Jolle, als eine Yacht. Wir legten pro Tag, je nach dem wie der Wind blies, etwa 80 - 100 SM zurück. Es gab aber auch Tage, mit absoluter Windstille, an denen wir uns nur mit der Strömung des Meeres fortbewegten. Man muss sich das so vorstellen, dass sich der Atlantik auf der nördlichen Halbkugel im Uhrzeigersinn dreht. Südlich des Äquators entgegen dem Uhrzeiger.
Die Strömung in Äquatornähe geht immer in Richtung Westen, also in die Richtung, in die wir auch fahren wollten.
Am Ruder wechselten wir uns während der gesamten Überfahrt Tag und Nacht alle 3 Stunden ab. Stets den Kompass im Blick, versuchte ich so gut wie möglich, an der Ruderpinne Kurs zu halten. Heutzutage sind die Segelyachten auch alle mit einem Autopilot ausgestattet, der zuverlässig den festgelegten Kurs einhält. Ein Traum, wenn ich das mit den späteren Segeltörns vergleiche.
Wir mussten uns also ständig am Ruder abwechseln, Tag und Nacht. Denn ohne Autopilot, wie soll das anders gehen? Michel meinte, wenn er alleine die Strecke gefahren wäre, hätte er dann das Ruder mit Seilen festgezurrt. Das würde aber nur bei einigermaßen ruhiger See funktionieren. Ich glaube, dass er sich mit meiner Gesellschaft etwas leichter getan hat. An Schlaf wäre sonst an einigen Tagen nicht zu denken gewesen. Mittags um 12 Uhr genau, war immer ein Wechsel am Ruder. Michel holte dann den Sextant von unten, und peilte. Da wir uns auf Englisch unterhalten mussten, und sein Englisch noch viel schlechter war als meins, unterließ ich es, ihn zu fragen, wie ein Sextant funktioniert. Er machte sich Notizen, holte sein großes dickes Buch hervor, und trug in sein Logbuch die Koordinaten ein.
Ab und zu drehte ich mich um. Die afrikanische Küste wurde immer kleiner und undeutlicher, bis sie am Horizont verschwand.
Ein Blick zurück, doch kein Land mehr zu sehen. Nur Wasser und Himmel. Wir waren völlig auf uns allein gestellt. In voraussichtlich 3 - 4 Wochen wollten wir Brasilien erreichen.
Ein großes Frachtschiff am Horizont, das unseren West Kurs von Süd nach Nord kreuzt.
Nachts ein Licht, das uns in der Ferne überholt. Von uns konnte kein anderes Schiff Notiz nehmen, da wir keine Bordbeleuchtung hatten.
Scheinbar kreuzten wir eine Hauptschiffahrtslinie.
Nachts frischte es ab, und warme Kleidung war notwendig.
Bei gutem Wind und guter Fahrt tauchten immer wieder Delfine am Bug auf, so als ob sie mit uns um die Wette schwimmen wollten.
An diesem Morgen zeigte sich der Himmel völlig bedeckt, mit Schlechtwetterwolken. Dieser Tag, wie auch die folgende Nacht, verlief noch ruhig, was Wind und Wellen anbelangt. Michel erzählte mir von seinen Erlebnissen auf seinen Segeltörns. Einmal brach der Mast bei einem Orkan auf offenem Meer. Ein anderes Mal wurde das Schiff so heftig bewegt, dass sogar der Mast ins Wasser tauchte. Doch am gefährlichsten für einen Segler, meinte er, wären die Pottwale. Die männlichen Wale verkennen den Rumpf eines Segelbootes mit einem Weibchen. Die männlichen Wale möchten mit ihrem riesigen Körper das Weibchen anrempeln, und haben so schon manches Boot zum Sinken gebracht. Von diesen Walen sahen wir innerhalb der ersten vier Tage auf See insgesamt 8 Exemplare, die mal vor uns, mal hinter uns, ihre Wasserfontänen in die Luft bliesen. Tagsüber schien keine Gefahr von den Walen auszugehen. Doch nachts, wenn wir Wale durch ihre Pfeiflaute bemerkten, hämmerten wir gegen die Planken des Bootes, um den Meeressäugern mitzuteilen, dass wir kein weiblicher Pottwal sind, und keine Lust auf plumpe Annäherungsversuche haben.
Am 7. Tag unserer Fahrt verdunkelte sich der Himmel immer mehr. Der Wind wurde immer stärker, und somit auch die Wellen, die bis zum Spätnachmittag eine Höhe bis zu 4 m erreichten. Das ständige Auf und Ab war ja anfangs ganz schön, doch an der Pinne anstrengend, und zudem hatte es den Nachteil, dass alles im Boot feucht wurde. Die Wellen bauten sich immer mehr auf, und rissen das Ruder hin und her. Man war die ganze Zeit damit beschäftigt, immer dagegen zu drücken, oder zu ziehen. Dabei durfte man den Kompass nie aus den Augen lassen.
Erst heute flaute der Sturm ab, das Meer beruhigte sich allmählich wieder. Ich will versuchen, die Situation der letzten 3 Tage und Nächte zu beschreiben: Das ständige Ankämpfen, auf der Fahrt schräg gegen die Wellen, forderte von uns viel Kraft. Der hohe Druck auf dem Ruder musste durch Muskelkraft ausgeglichen werden, um Kurs zu halten. Derjenige, der am Ruder war, band sich am Boot fest. Die Wellen hatten ihren Höhepunkt mit schätzungsweise 8 - 10 m am zweiten stürmischen Tag erreicht. Vor allem nachts, wenn der andere unten im Rumpf des Bootes schläft, würde er es ja nicht sofort mitbekommen, wenn der Steuermann über Bord geht. Natürlich wechselten wir uns auch in diesen Tagen alle drei Stunden am Ruder ab. Wie man an den Koordinaten erkennen kann, legten wir auch gut an Strecke zurück. Aber das war schon das einzig Positive daran. Nach der Schicht am Ruder war man immer völlig erschöpft. Es war eine Berg- und Talfahrt in einer Nussschale. Und es war ja auch stockfinster. Der Regen erschwerte die Arbeit obendrein.
Ob das gefährlich sei, wollte ich wissen. Michel meinte, dass solange sich die Wellen nicht brechen, müssten wir nichts befürchten. Großen Frachtschiffen ist so ein Wellengang schon öfter zum Verhängnis geworden. Entweder kann die Ladung verrutschen, und das Schiff kentern. Oder sie brechen in der Mitte auseinander, wenn sich Bug und Heck auf einem Wellenberg befinden. Unserem Boot würde nichts passieren, da es wie eine Nussschale auf den Wellen reitet. Trotzdem holte Michel sicherheitshalber die Segel etwas ein, um die Segelfläche zu verkleinern.
Verdauung - ebenfalls ein sehr wichtiges Thema beim Segeln! Wegen den Wellen ist der Körper ständig angespannt. Die Bauchorgane verkrampfen, und Stuhlgang ist erst mal abgestellt. Es dauerte bei mir wirklich bis zum 9. Tag auf See, bis der Darm wieder funktionierte. Selbst bei Michel dauerte es fünf Tage! Selbstverständlich hatten wir auch keine Toilette an Bord. Wer mal musste, ging vor an die Reling der Bugspitze und hängte seinen Allerwertesten übers Meer.
Ringsum Meer und Himmel. An jedem Tag sah es anders aus. So, als ob wir verschiedene Landschaften durchfahren würden. Die Lichteinstrahlung der Sonne und die unterschiedliche Oberfläche des Meeres brachte immer wieder neue Farben hervor.
Und selbst hier, in der Mitte zwischen Afrika und Südamerika, schwirrten oft kleine schwarze Vögel an uns vorbei, dicht über der Wasseroberfläche. Niemals sah ich, dass sich diese Vögel auf der Wasseroberfläche ausruhten.
Am Heck befestigte Michel eine Nylonschnur, Angel hatten wir keine. Am Haken befestigte er immer wieder neue Köder. 3, 4 Tage hatten wir keinen Fisch gefangen, Aber dann holten wir an manchen Tagen gleich bis zu vier Fische aus dem Wasser.
Biss ein Fisch an, wurden die Segel gelockert, um Geschwindigkeit aus der Fahrt zu nehmen. Dadurch wurde es einfacher, einen Fisch ans Boot zu ziehen. Ein Thunfisch ist da ein ganz besonderer Leckerbissen! Man glaubt kaum, was es für Kraft kostet, einen Thunfisch in dieser Größe herauszuziehen! Michel zerlegte den Thunfisch, schnitt Teile für das Abendessen zurecht und legte den Rest in Salz ein.
Am 22. März befanden wir uns kurz vor dem Äquator. Dies war die letzte genaue Position, die Michel mit dem Sextant feststellen konnte. An den darauf folgenden Tagen errechnete Michel immer voneinander abweichende Koordinaten, so dass eine exakte Position nicht auszumachen war. Ausgerechnet jetzt konnte kein vernünftiges Ergebnis festgestellt werden. Ob es an der Nähe zum Äquator lag?
Michel wollte unbedingt zum Sankt-Peter-und-Sankt-Pauls-Felsen gelangen, ein Archipel, rund 960 km vor der brasilianischen Küste. Er meinte, dass es hier sehr viele Hummer gäbe, die er gerne fischen möchte. Auch ich war zugegebenermaßen etwas enttäuscht darüber, die Felsen mitten im Meer nicht gefunden zu haben.
In diesen Tagen war das Meer so glatt wie ein Spiegel. Die Segel klappten mal hin, mal her, bis Michel schließlich alle Segel einholte. Michel hatte, was das Stehen anbelangte, sicherlich keine Schwierigkeiten, um mit seinem Sextant zu arbeiten. Er wurde aber sichtlich nervöser. Nach jeder Berechnung kam er zu einem anderen Ergebnis. In diesen absolut ruhigen Tagen bewegten wir uns ausschließlich mit der Strömung des Atlantiks.
Die Koordinaten für St. Paul: 0° 55′ N, 29° 21′ W. Wir mussten uns also ganz in der Nähe befinden.
Wir nutzten die Ruhe mit Baden. Michel tauchte mit seiner Harpune und konnte tatsächlich einige Fische fangen. Die hatten goldene Schuppen! Das weiße Fleisch aßen wir roh, nur mit Zitronensaft beträufelt. Die Säure der Zitrone bewirkt, dass das Fleisch wie gebraten schmeckt. Naja, nicht so ganz. Aber es schmeckte.
Die anderen Fische legte Michel in Salz ein, und landeten an anderen Tagen in der Pfanne.
Aber nur 2 Stunden später trauten wir unseren Augen nicht: eine große dreieckige Flosse, die unzweifelhaft zu einem großen Hai gehören musste, umkreiste unser Schiff. Der wurde wohl von den Fischresten angelockt, die von uns ins Meer geworfen wurden. Ab diesem Zeitpunkt sprang ich während der Fahrt nicht mehr ins Meer...
Immer wieder hielten wir Ausschau nach den Sankt-Peter-und-Sankt-Pauls-Felsen, doch wir fanden sie nicht.
Zur Erklärung von Breiten- und Längengraden:
Der Äquator hat den Breitengrad 0. Auf der nördlichen Halbkugel erhalten die Grade vom Äquator aus nach Norden aufsteigend einen immer höheren Wert. Bamberg liegt fast auf dem 50. Breitengrad. Das "N" steht für Nord, da nördliche Halbkugel. Der Längengrad mit dem Wert 0 liegt in Londons Stadtteil Greenwich, der früher das Zentrum der britischen Marine war. Dieser Nullmeridian verläuft genau durch die dortige Sternwarte. Alles was sich östlich davon befindet, erhält demnach den Buchstaben E für Osten. Westlich liegende Koordinaten erhalten das W.
Die GPS-Koordinaten für Bamberg lauten: 49° 53´ N 10° 53´ E.
Wie man an den Koordinaten erkennen kann, gelang es Michel wieder, die Position eindeutig zu berechnen. Wir hatten am Mittag bereits den 2. Breitengrad passiert, und damit den Äquator überschritten. So tranken wir die Flasche Sekt, die ich in Bissau eigens für die Äquatortaufe gekauft hatte, 2 Tage nachdem wir den Äquator überquert hatten. An St. Paul waren wir auch schon wieder weit entfernt. Eine erneute Suche gaben wir auf.
Wir hatten jetzt durchgehend schönes Wetter, bis auf diese Begebenheit. Schon von Weiten erspähten wir diese dicke weiße Wolke, unter der sich ein Regenvorhang befand. Laut Kompass sollten wir eigentlich in ausreichendem Abstand daran vorbei kommen.
Doch das nächste Foto zeigt, dass der Regen uns voll erwischt hatte. Es war ein warmer aber heftiger Regen. Und was machten wir? Wir holten die Tube mit dem Shampoo und seiften uns komplett ein. Im Nu war die Seife wieder ausgewaschen. Frisch gewaschene Haare nach über 2 1/2 Wochen!!!
Heute hatte ich ein ganz besonderes Erlebnis. Es war am frühen Vormittag, die Sonne brannte wieder mit ihrer vollen Kraft erbarmungslos auf uns nieder, als plötzlich ein Schwarm Fische aus dem Wasser heraus geflogen kam. Im Zickzack Kurs, ca. 1 - 2 m über der Wasseroberfläche. Ein paar prallten an die Kajüte oder flogen ans Segel. Das passierte ein paar Mal. Scheinbar ist ein Räuber hinter ihnen her. Leider sind die nicht sehr schmackhaft. Nach ein paar Fotos warf ich die an Deck liegenden Fischlein, so groß etwa wie Heringe, wieder zurück ins Meer.
Mittlerweile muss ich sagen, hatte ich schon etwas Übung im Segeln. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie die Segel richtig zu setzen sind, um die bestmöglichste Fahrt aufrecht zu erhalten. Die Knoten hatte ich mir auch schon angeeignet.
Die Haut auf meiner Nase schälte sich. Abends ließ die Hitze nach, und bei angenehmen Temperaturen gab es Nudeln mit gebratenem Fisch. Nicht, dass unser Wasser knapp geworden wäre, aber Michel wollte mir zeigen, dass eine halbe Tasse Wasser aus dem Meer völlig ausreichend ist, fürs Nudelwasser. Insgesamt hatten wir 4 Kanister á 50 l Wasser dabei.
Bei normalem Seegang gefiel es mir nachts am Ruder am Besten. Die Sonne hatte dann keine Gelegenheit mehr, meine Nase zu verbrennen. Ich machte es mir seitlich zum Ruder auf den Rücken liegend bequem und schaute in das Sternenmeer. Je südlicher man kommt, desto mehr Sterne tauchen am Firmament auf. Ich legte mich dann seitlich zur Ruderpinne, nahm immer einen Stern ins Visier, und versuchte den Segelmast immer neben diesem Stern zu halten. Den Zeiger vom Kompass kontrollierte ich jede halbe Stunde, um sicher zu gehen, dass wir auf Kurs blieben, und um mir dann einen anderen Stern als Hilfsmittel zum Steuern auszusuchen.
Die Ruhe und die Einsamkeit, das Gefühl der Freiheit, das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite spielen manchmal die Gedanken verrückt. Genügend Zeit hat man ja, über alles Mögliche nachzudenken. Das kann auch sehr schön sein. Doch manchmal ereilten mich auch Gedanken, die nicht so positiv waren. Im Kopf tauchen Bilder auf, oder ganze Handlungsabläufe, die einen fast verrückt werden lassen. Dann kommen noch die Gedanken hinzu, dass man dem anderen gegenüber plötzlich kein Vertrauen mehr hat, weil er ja die gleichen Gedanken haben könnte. Oder noch schlimmere. So geschah es, dass wir die letzten Tage so gut wie überhaupt nicht miteinander gesprochen haben. Mir fehlen deswegen auch an 2 Tagen die Koordinaten. Da Michel ebenfalls schwieg, und mir irgendwie aus dem Weg ging, verschlimmerte sich die Situation nur noch mehr. Zumindest in meinem Kopf. Doch als wir in der Nacht auf den 1. April zum ersten Mal die große Lichtglocke von Recife im Nachthimmel erspähten, konnten wir unser Glück kaum fassen und alle negativen Gedanken waren wie weggeblasen. Gleich hatten wir wieder total gute Laune. Wir wussten in diesem Moment, dass wir bald den südamerikanischen Kontinent erreichen würden.
In der darauf folgenden Nacht war das Licht, das von der Großstadt Recife ausging, noch heller zu sehen.
Vormittags war es dann soweit! Die Reise ging zu Ende, Brasiliens Küste lag vor uns. So weit das Auge reicht: nur Palmen. In dem kleinen Ort Ponta de Serrambi betraten wir um die Mittagszeit zum ersten Mal brasilianischen Boden. Am Strand riesige Villen, dahinter das eigentliche Dorf. Die Lehm- und Bretterhütten zwischen den Palmen konnten den Menschen hier nur als Schlafplatz dienen, so winzig waren diese. Die Einheimischen am Ufer waren neugierig, weil Brasilianer nicht einfach so mit einem Segelschiff aufkreuzen, ankern und ausgerechnet hier an Land gehen. Also mussten wir Ausländer sein - von irgendwo her. Klar, dass wir danach befragt wurden. Frankreich und Deutschland ist zwar vom Namen her bekannt, aber in der Vorstellung unendlich weit weg. Also galten wir hier zumindest als etwas Besonderes. Solche Momente sind schön, können aber durchaus ins Negative umschlagen. Doch hier im Fischerdörfchen waren alle gut gestimmt. Keiner wollte uns etwas Böses. Portugiesisch konnte weder Michel noch ich. Nachdem wir an einem Stand Limo mit Dollars kaufen konnten, waren auch wir gut drauf. Das erste Bier seit langem wieder, und Zigaretten, die uns am 15. Tag ausgingen. Bis in die Nacht hinein, hielten wir uns im einzigen Geschäft auf und probierten alles Unbekannte. Wir hatten einige Mühe, um wieder aufs Schiff zu kommen.
Ich weiß nicht, was Michel dazu bewog, nach Porto Calvo segeln zu wollen. Jedenfalls holten wir um 8 Uhr den Anker ein, und fuhren an der Küste entlang. So lange es noch hell war, konnten wir jedoch keinen größeren Ort an der Küste ausmachen. Porto Calvo muss wohl noch etwas südlicher liegen.
Im Dunkeln war wieder eine helle Lichtglocke am Horizont. Wir nahmen an, dass dies Maceio ist, und segelten aufs Meer hinaus, um am nächsten Tag Porto Calvo anzulaufen. Wir wählten deshalb das offene Meer, damit wir beide etwas schlafen konnten. Beide Segel holten wir ein, und ließen uns treiben. Ich war mir aber sicher, dass Michel immer mal schaute, ob alles in Ordnung war.
Als wir erwachten, sahen wir Hochhäuser, und steuerten auf den Hafen zu, im Glauben Porto Calvo gefunden zu haben. Wie sich aber herausstellte, liegt Porto Calvo gar nicht an der Küste, sondern flussaufwärts, ca. 15 km vom Meer entfernt. Wir hatten Maceio erreicht, das eigentliche Ziel unserer Reise.
Sogleich wollten wir unsere Papiere in Ordnung bringen. Da aber Samstag war, hatten die Büros geschlossen, und wir mussten bis Montag warten.
Am 6. April waren wir dann offiziell in Brasilien eingereist. Klar, dass sich die Beamten wunderten. Zuerst wollten die uns nicht glauben, dass wir von Afrika hergesegelt sind, und lachten, weil sie dachten, dass wir sie veräppeln. Doch schließlich gingen sie ihrer Pflicht nach und ruderten in einem Schlauchboot zu unseren Schiff. Einer kroch sogar nach unten, und öffnete die einzige Schranktür zu den Kochutensilien. Dann waren sie auch schon wieder verschwunden.
Der Stempel im Pass ist ja echt ein Witz: nicht mal Brasil steht drauf, nur Nummern...
Mit dem Segelboot von Carabane in Senegal nach Maceio in Brasilien. Am 16. Tag auf dem Atlantik überquerten wir den Äquator.
Jetzt im Nachhinein muss ich sagen, bin ich sehr froh darüber, dass ich diese Erfahrung einer Atlantik Überquerung machen konnte. Die Überfahrt war nicht nur der Höhepunkt auf dieser Fahrt mit einem Segelschiff, die insgesamt 25 Tage dauern sollte, sondern überhaupt das absolute Highlight all meiner Reisen, bis heute!
Fragen oder Kommentare? Oder war mein Bericht hilfreich für deine Entscheidung für einen Segeltörn in Kroatien? Dann gerne hier im Gästebuch einen Eintrag hinterlassen, oder mir eine Mail schreiben.
Mich kann man auch als Skipper buchen, weltweit, Motor- und Segelyacht mit vorheriger Absprache!
Dazu rufe diese Seite auf: https://sailingwithwolf.com/
Simone (Donnerstag, 07 März 2024 20:21)
Was für ein Abenteuer! Bin heute durch Zufall auf deine Seite gekommen…So eine Geschichte vergisst man niemals! Erinnerungen fürs Leben. Danke!
Thomas (Dienstag, 29 November 2022 19:29)
Hallo Wolfgang,
wollte wissen, ob man mit dem Schiff von Dakhar nach Recife kommen kann. Und dann bin ich auf deinen Bericht gestoßen: spannend, was für ein Abenteuer, sehr mutig von dir. Ich war 1985 zum 1. mal in Recife. Im Januar werde ich zum 9. Mal dort sein... Ich möchte auch Dakar kennenlernen. Gesegelt bin ich noch nie. Das kann sich ja ändern �
Dew (Montag, 21 Februar 2022 19:03)
Wollte nur wissen wie weit die kürzeste Strecke von Afrika nach Südanerika ist und dann bin ich auf deinen tollen Reisebericht gestoßen. Super interessant wie du das beschreibst. Gratulation!
Dew
Julia (Freitag, 15 Mai 2020 16:40)
Hallo Wolfgang, ein super spannender Bericht. Danke dafür! Gerade haben wir entschieden, es dir gleich zu tun. Wir werden im Dezember von Senegal los starten und freuen uns schon sehr drauf.
LG Julia
www.lagertha.de
muva (Donnerstag, 21 November 2019 13:42)
Hallo Wongi
Das war sehr aufregend dies alles zu lesen.Diese Erinnerungen kann dir keiner nehmen.
Dass alles so gut abgelaufen ist war viel Glück dabei.Wir können von Glück sagen dass
wir von allem keine Ahnung hatten.So etwas kann man nur einmal erleben.
es ist alles schon lange her aber es wühlt mich jetzt noch auf.
Deine Segeltouren sind ja nicht so gefährlich machen aber sicher auch viel Spass
Danke für deinen super Beitrag
MUVA
Elisabeth (Dienstag, 14 Mai 2019 01:03)
Hallo dear Wolfgang,das ist ja ein sehr erstaunlicher Bericht. In den besten jungen Jahren,schon so eine
lange und gefährliche Segeltour, kein Wunder, da hat's dich erwischt seelisch, moralisch, ereignis & erfahrungsreich, es blieb dir erfahrungsgemäß nichts erspart, hat dich auch ganz schön abgehärtet, so, dass du keine Arbeit je gescheut & gemeistert hast. In der Einsamkeit kann man schon unglaubliche Gedanken fürchten, & ein gesundes Misstrauen, ist auch oft notwendig um sich selbst zu behaupten. Du hast dir selbst Vieles im Alleingang verschafft, das beweißt du auch schon charakterlich, manchmal zu hart & nicht ganz fair, aber, das sind die Eigenschaften der Seemänner,& davon hast du schon einen gewissen Teil abbekommen" Seemann deine Heimat ist das Meer", deshalb freust du dich alle paar Jahre auf die Seegelyacht mit deiner heimatlichen guten Crew, vielleicht ist es wieder bald soweit, Vatertag ist ja nicht mehr so lang weg. Wisch U, best of Luck & Gods Blessing, u'r true Friend Elisabeth